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Teil 1: Customer Experience 2030 – SciFi-Comics als Auftragsarbeit

Präsentation, Roche Bühne, zwei Männer, CX Customer Experience, Niko Herwegh,

Meine erste Auftragsarbeit, kein Gewinn ohne Risiko.


Im Juli 2021 erhielt ich den monatlichen Newsletter des VSPA (Verein Schweizer Phantastikautoren), darin gab es einen Aufruf für eine Auftragsarbeit. Die Roche Pharma (Schweiz) AG aus Basel rief alle Science-Fiction-Autoren dazu auf, sich für ein Comic-Storyboard zu bewerben. Das Thema waren fiktive Kundenerfahrungen im Jahr 2030. Customer Experience 2030. Das Comic-Storyboard sollte 10 bis 20 Seiten umfassen. Ein Comic-Illustrator war schon gefunden.

Das Ziel der Comics ist ein bildliches und gemeinsames Verständnis der Unternehmensziele. Es soll Kunden und alle Mitglieder des Unternehmens-Ökosystems zu Diskussionen und Zusammenarbeit anregen.

Zufällig hatte ich zu dem Zeitpunkt das Manuskript zu SpaceGames – Spielregeln beendet und war dadurch frei, den Auftrag anzunehmen, wenn ich ihn denn bekommen würde. Aber ich stellte mir die Frage, war ich dafür auch wirklich geeignet?


Fünf Fragen, fünf Antworten
Ich überprüfte die Anforderungen:

- F. Hoffmann La Roche ist eine Pharmafirma, kenne ich das Feld gut genug?
Und ob! Ich arbeitete zu dem Zeitpunkt schon seit 12 Jahren in der Pharmaindustrie, meist in der Produktion, der Mikrobiologie und auch als technischer Autor im Qualitätsmanagement. Dazu hatte ich im Jahr 2020 ein CAS (Certificate of advanced Studies) abgeschlossen mit den Modulen Arzneimittelentwicklung und GMP-basierte Produktion.

- Kenne ich denn die Kunden der Roche?
Kann ich mir die Customer Experience vorstellen? Immerhin musste ich realistische Szenarien entwickeln, damit dieses Marketingwerkzeug auch wirklich gut ankommt bei den Lesern. Als Antwort konnte ich ein klares »Ja« setzen. Als potenzieller Patient war ich zumindest ein potenzieller Käufer von Roche-Produkten. Und durch das CAS wusste ich auch, wie klinische Studien durchgeführt werden und wie die nationalen und internationalen Zulassungsverfahren aussehen.

Diese kurze Kontrolle, ob ich wirklich für ein Projekt geeignet bin, ist mir wichtig, denn so kann ich schon früh erkennen, ob ich in einigen Projekt-Bereichen noch Wissen nachholen sollte. Ein solches Defizit erst mitten im Projekt zu erkennen, kann zu viel Kopfzerbrechen führen.

- Die nächste Frage, die sich aus der Auftragsbeschreibung ableitete, war einfach zu beantworten. Konnte ich mir die Welt oder die Pharmaindustrie im Jahr 2030 vorstellen?
Als Science-Fiction-Autor? Natürlich! Wie gut, dass ich auf Hightech-Thriller und Hard Science Fiction spezialisiert bin!

- Kann ich ein Comic-Storyboard erstellen?
Noch hatte ich das nicht gemacht, aber ich wusste, wie eines aussah, auch ohne es zu googeln. Denn ich hatte mich schon öfter mit Comics beschäftigt. Früher einmal wollte ich tatsächlich Comiczeichner werden. Zudem kannte ich viele unterschiedliche Arten von Comics. Von US-amerikanischen Superhelden- Comics wie den X-Men und Iron Man bis hin zu französischen Comics wie Valerian und Veronique (deutscher Titel).

- Was kann schiefgehen?
Das ist wohl eine der wichtigsten Fragen, die von vielen Freelancern und jungen Künstlern übersehen wird, wenn sie sich auf eine Ausschreibung oder einen Auftrag einlassen. Eine Auftragsarbeit ist ein klares, spezifiziertes und auf einem Vertrag festgehaltenes Versprechen. Einen solchen Auftrag, wenn ein Abgabedatum festgelegt wird, kann man nicht einfach um zwei Monate verschieben, denn der Kunde braucht das Produkt vielleicht unbedingt für eine viel umfassendere Kampagne.

Trotz dieser Vorbereitung und meiner Erfahrung im Projektmanagement, Storytelling und im Design Thinking wäre der Auftrag einmal fast abgebrochen worden.

Niko Herwegh, Bühne, Roche Pharma Schweiz AG, CX Customer Experience, medtech concept,


Design Thinking und Hightech, so arbeitet ein Science-Fiction-Autor.

Ich würde heute nicht davon schreiben, wenn ich den Zuschlag für den Auftrag nicht bekommen hätte, also mache ich es kurz. Dank meiner langjährigen Karriere in der pharmazeutischen Industrie, meiner Kenntnisse über Hightech-Entwicklungen und Comics bekam ich den Auftrag.

Die nächsten Schritte waren zuerst einmal formeller Natur. Ich unterschrieb einen zwanzigseitigen Vertrag, weil eine so große Firma wie Roche schon einige Zusicherungen verlangt, gerade was Datenschutz und Geheimhaltung angeht. Es war ein faires Vorgehen, ich bekam dafür mein Angebot abgezeichnet.

Mein Angebot orientierte sich am Design-Thinking-Prozess und meinem Vorgehen, einen Roman zu schreiben.

Erste Phase – das Ziel verstehen und die Zustände beobachten:
Interviews mit dem Auftraggeber und Fachspezialisten.
Recherche zu der allgemeinen technologischen und strukturellen Entwicklung in der Pharmaindustrie.

Zweite Phase – Ideenfindung durch Kreativtechniken und Konzeptionierung:
Gewinnung von Ideen durch Kreativtechniken und Kombination von technologischen und soziologischen Veränderungen.
Ausbau der Ideen zu Geschichten, Personen und Konflikten.
Konzeptionierung von zwei Geschichten-Exposés, der Kunde kann eine von beiden auswählen, die dann in ein Comic-Storyboard umgesetzt wird.

Dritte Phase – das Storyboard erstellen:
Das ausgewählte Exposé zu einer Geschichte ausarbeiten.
Zusammen mit dem Comic-Illustrator das Storyboard erstellen.
Korrekturschleife und nachträgliche Recherche

Nicht nur der Kunde verlangte eine detaillierte Leistungsbeschreibung mit Angabe der Arbeitsstunden, auch mir ist eine detaillierte Planung wichtig. Ich glaube zwar nicht, dass ich jedes geplante Detail einhalten kann und jeder Zwischenschritt auch wirklich so abläuft, wie ich es hoffe, aber ich denke, sich geirrt zu haben, ist immerhin besser, als etwas gänzlich zu übersehen.

Kundenwünsche
In den ersten Gesprächen mit der Gruppe Customer Engagement aus Basel stellte sich schnell heraus, dass die Idee eines Comics über die zukünftigen Kundenerfahrungen auf dem Konzept des Science Fiction Prototyping beruhte. Dabei wird ein Produkt oder eine Dienstleistung in einer Welt von morgen dargestellt. Es ist eine gezielte Überspitzung, in der gezeigt wird, wie das Produkt die heutigen Probleme löst und die Zukunft verändert. Dabei ist es egal, ob das Produkt real ist oder fiktiv. Science Fiction Prototyping ist zur Hälfte reale Analyse und kluge Werbemaßnahme. Durch den Einsatz eines Produkts als Mittelpunkt einer Geschichte werden eine realistische Verwendung durch den Kunden und die Auswirkungen simuliert.

Der Prozess kann als Auftragsarbeit gänzlich an den Science-Fiction-Autor ausgelagert werden oder das Unternehmen arbeitet im Co-Creation-Prozess mit dem Autor zusammen, um das Zukunftsprodukt erst noch, fiktiv, zu erfinden. Für ein Unternehmen bringt das Prototyping die Vorteile, etwaige Anwendungen und Gefahren einer neuen Technologie frühzeitig zu erkennen. Es kann sein Produkt auf kreative Weise bewerben, als Kurzgeschichte, als Comic oder sogar als Werbefilm.

Und so schön die Theorie auch ist, in der Realisierung kann einiges schiefgehen. Etwa dass der Comic-Illustrator abspringt. Und das geschah gleich in den ersten zwei Wochen des Projekts, aufgrund diverser Gründe war der Illustrator nicht mehr eingebunden und der Auftrag drohte zu scheitern, noch bevor er richtig begonnen hatte. Zu meinem Glück hielt das Projektteam dennoch an seinem Ziel fest und man ließ mich weiterarbeiten. Das Comic-Storyboard sollte entwickelt werden, auch wenn die Realisierung des Comics nicht gesichert war.
Na ja, es gibt eben keinen Gewinn ohne Risiko.

In meinem ersten Interview mit dem Team und der Teamleiterin konnte ich durch Fragetechniken jedoch herausarbeiten, dass es gar keine große Geschichte werden sollte, um die Erwartungen aller Stakeholder zu erfüllen. Eine Sammlung von Kurzgeschichten konnte die Aufgabe viel besser erfüllen, vor allem auch weil die Kunden eines Pharmaunternehmens vielfältig sind.

Ich schlug also vor, fünf Kurzgeschichten mit jeweils fünf Seiten zu entwickeln. Das Team sollte sich dann vier der Geschichten aussuchen, damit diese als Comic umgesetzt werden.

Ich begann zu recherchieren. Zu Medikamententests, ohne Tiere und ohne Menschen. Zu Fast Prototyping in der virtuellen Realität und mit 3D-Druckern. Zur Entwicklung von neuen Produkten und Problemlösungen durch Co-Creation-Prozesse, in denen Firmen und deren Kunden zusammenarbeiteten.

Die zentralen Fragen und Konflikte der Pharmaindustrie waren damals vor allem diese drei:

Wie können neue Medikamente in Zukunft schneller und sicherer entwickelt werden? Eine Beschleunigung ist nötig, um den steigenden Kosten bei Forschung und Zulassung entgegenzuwirken. Die Konkurrenten der deutschsprachigen Pharmafirmen in Indien und China verfügen über gleich zwei Standortvorteile. Erstens ist ihre Bürokratie in der alltäglichen Verwaltung geringer und zweitens sind ihre Personalkosten niedriger.

Ein Ziel von Roche und vom damaligen Roche CEO Severin Schwan war die Verwendung von Gesundheitsdaten für Forschung und Entwicklung. BigData und Algorithmen waren damals die Schlagworte der Stunde.
Wie Severin Schwan auch in einem Interview erwähnte.

Eine weitere Herausforderung für die Industrie war die Frage: Wie können die Vorteile der Pharmaindustrie und die speziellen Risiken in der Entwicklung und Produktion von Medikamenten transparenter in die Öffentlichkeit getragen werden?
Die COVID-Pandemie lief gerade aus und ein Großteil der Bevölkerung warf den Konzernen vor, ihre Gewinne durch das Leid der Menschen zu steigern. Krisengewinner.
Auch durch die Opioid-Krise in den USA standen die dortigen Firmen im Fokus einer Gier- und Schadensdebatte. Daher waren auch Public Relaitions und Corporal Brand ein wichtiges Thema.

Ein Haufen Wünsche, Schlagworte und Arbeit lag vor mir. Die Kundeninterviews und meine Recherche dienten mir als Ressourcenquellen. Jeden Wunsch, jedes Buzzword und lose Inspirationen kombinierte ich durch systematische Kreativtechniken zu neuen Ideen.


Ein Beispiel: Eine Interviewpartnerin beschrieb die möglichen Dienstleistungen von Roche mit den Angeboten eines Technologiekonzerns. Sie verglich Roche mit Apple oder Microsoft. Lassen Sie uns kurz die völlig überteuerten Preise von Apple vergessen, bleiben wir an der Idee dran, spielen wir sie durch! Ich stellte mir Hoffmann-La Roche als eine Firma vor, die ihre Produkte direkt an den Patienten verkauft (Analysegeräte und Apps, keine Medikamente). In Läden, mitten in der Innenstadt, mit Schaufenstern, Ausstellungsprodukten und großen Präsentations-Events. Was haben Techkonzerne wie Apple, Tesla und auch der Uhrenhersteller Swatch gemeinsam? Genau, Flagship Stores. Ich entwarf also ein entsprechendes Szenario, in dem Privatkunden und Firmenkunden alle Neuheiten und Entwicklungen direkt anfassen und erleben konnten. Mit unterschiedlichen Arealen für die Zusammenarbeit, die Kommunikation und auch für die gemeinsame Präsentation von Co-Creation-Produkten.

Ich achtete darauf, dass die fünf ausgearbeiteten Konzepte alle Felder eines Weltkonzerns wie der Roche beinhalteten. Technologische Entwicklung, pharmazeutische Forschung, Public Relations und Kommunikation, Krankenhausdiagnostik und Patientenbetreuung.

Ich arbeitete die Konzepte aus und präsentierte sie dem Kunden.

Weiter zu Teil 2, Präsentation, Kritik und Offenbarung.

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